Aller Anfang

Dieses Ereignis hatte Thome noch schweigsamer gemacht, als er es ohnehin schon war. Über den genauen Hergang des Unfalls wollte er mit niemanden sprechen. Wenn ihn seine Kollegen darauf ansprachen, senkte er nur den Kopf und verdeckte sein Gesicht mit seinen großen Handflächen. Dafür geschah etwas anderes. Jedes Mal, wenn Thome zu viel trank, schossen ihm Tränen in die Augen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Dieses Phänomen konnte ihn völlig unerwartet treffen, plötzlich, während er gerade über den Witz eines Arbeitskollegen lachte oder während seine Hand noch einen Trumpf im gemeinsamen Kartenspiel ausspielte. Er merkte es zuerst nicht, so völlig unvorbereitet traten sie aus seinen Augen.
Thome wusste nicht, woher die Tränen kamen, denn er verspürte keine Schuld, nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Spätestens wenn er mit seinem geschundenen Bein aufs Klo des Gasthauses humpelte, um das Bier zu entsorgen, wurde ihm bewusst, wie gerecht seinen Tat gewesen war und dass Leschke nichts Besseres verdient hatte. Aber der Tränenfluss wollte und wollte nicht aufhören. Er stand vor dem verschmierten Spiegel, der oberhalb des Toilettenwaschbeckens hing und beobachtete, wie sich die Tränen aus seinen Augenwinkeln drängten. Das gibt es doch nicht, dachte er. Das kann doch nicht sein.
Es wurde erst besser, wenn Thome das Gasthaus verließ und später seinen Kopf an Elisas Schulter lehnte.
– Das wird schon wieder, Thome, das wird schon wieder. Es muss ein entsetzlicher Anblick gewesen sein. Aber warum auch immer das passiert ist, es gab einen Grund. Alles hat einen Grund, nichts geschieht nur so aus heiterem Himmel. Wer weiß, welche Schuld er auf sich geladen hatte, dass er ein so grausames Ende finden musste. Wir können in niemanden hineinsehen, es gibt nur einen, der das kann, und dem müssen wir vertrauen.
Elisa fand immer die richtigen Worte. Und als sich Thomes Leben, das er in Elisa gepflanzt hatte, zu rühren begann, versiegten auch die Tränen.

Schreibe einen Kommentar